«Seine Stimme wird uns fehlen»
1. April 2016
Zum Tod von Dr. Hans-Dietrich Genscher:
Begegnungen und Erinnerungen von Senator h. c. Peter Verbata, M.A. rer. pol. (Univ.), gf Vorstandsvorsitzender der Fördergesellschaft für Europäische Kommunikation (FEK) e.V. und Chefredakteur (Vors.) des Magazins «EUROjournal pro management».
Die Nachricht vom Tode des Trägers der Auszeichnung unserer gemeinnützigen FEK e. V., der Europamedaille Kaiser Karl IV., Dr. Hans-Dietrich Genschers hat mich tief getroffen. Er wird uns, Europa und im besonderen mir, sehr fehlen.
Er hat sein ganzes und unermüdliches politisches Wirken der Versöhnung, sowie der Einigung dieses Kontinentes verschrieben.
Als der am längsten amtierende Bundesaußenminister, dessen Markenzeichen ein gelber Pullover war, mußte immer wieder mit gesundheitlichen Problemen kämpfen und trotz alledem schaffte er es die Geschicke dieses Kontinentes maßgeblich mitzubestimmen. Entspannungspolitik und die Chancen des Ost-West-Brückenbaus hat er schon sehr zeitig erkannt, was sich letztendlich auch in der deutschen Wiedervereinigung widerspiegelte.
Bei den zahlreichen Begegnungen, die ich zunächst rein beruflich hatte, war es eine wunderbare Gelegenheit, einen Einblick in seine Gedanken über die zukünftigen europäischen Entwicklungen und Zusammenhänge mit der sich ständig wandelnden Weltpolitik zu gewinnen. Im Laufe der Jahre wurde sein ständiges „Lavieren“ zwischen Ost und West, ohne dabei die Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis in Frage zu stellen, von selbsternannten politischen Kritikern und Experten bemängelt. Aber Genschers intensive und verantwortungsvolle diplomatische Tätigkeit hat aus der heutigen Sicht einen Grundstein für den Wegfall des sogenannten „Eisernen Vorhangs“ in Europa gelegt.
In Erinnerung bleiben großartige und viel an zwischenmenschlichen Beziehungen schaffende Begegnungen mit dem Weltdiplomaten und großartigen Menschen, Architekten der Wende, Hans-Dietrich Genscher, und dem damaligen noch an der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze, seinem Kollegen Außenminister Jiří Dienstbier. Auch in den turbulenten Monaten 1989/1990 nahm Genscher als einer der ersten deutschen Politiker die Reformankündigungen des neuen starken Mannes in der Sowjetunion, Gorbatschow, ernst. Genscher verhandelte, schlichtete und sprach im Vier-Augen-Gespräch auch schon mal Klartext, ohne daß dies publik wurde.
Auch seine größte Stunde im September 1989 in Prag durfte ich miterleben. Seine Worte „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, daß heute Ihre Ausreise ...“ gingen im Jubel der rund 4000 Deutschen aus der DDR, die in das Lobkowitz-Palais, in die bundesdeutsche Botschaft geflüchtet waren, unter. Kurz darauf machten sich die „Mauerspechte“ an die Berliner Mauer ran, um dieses politische Hindernis aus der Welt zu schaffen. Ein Jahr später wurde Deutschland auf friedlichem Weg vereint.
Dr. Hans-Dietrich Genscher ist zu einem Symbol der Hoffnung geworden – nicht nur für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands, sondern auch für die Menschen in Osteuropa und darüber hinaus. Seinem Wirken ist auch zu verdanken, daß wir heute eine Europäische Union der 28 sind.
Die Krise in Europa veranlaßte Genscher immer wieder zu Wortmeldungen. Seine Sorgen häuften sich in den letzten Jahren seines „Unruhestandes“, in dem er sein Kernprojekt, die europäische Einigung, schweren Anfechtungen ausgesetzt gesehen hat.
Als überzeugte Europäer, der maßgeblich die europäische Integration stets vorangetrieben hat, wurde Dr. Hans-Dietrich Genscher von unserer gemeinnützigen Fördergesellschaft für Europäische Kommunikation (FEK) e. V. unter der Anwesenheit von Vertretern hoher Diplomatie, Wirtschaftsentscheidern und politischen Mandatsträgern mit dem Ehrenpreis – Europamedaille Kaiser Karl IV. – während des wirtschaftspolitischen Kolloquiums 2005 im Schloß Neudrossenfeld ausgezeichnet. Seine Erwiderung der Auszeichnung war, wie immer seine Gedanken, ein Bekenntnis zu Europa, der Weltmacht des Friedens.
Im Herbst 2014 war er nochmals an der Stelle, wo er seinen, wie er sagte, „glücklichsten Augenblick“ auf jenem Balkon in Prag erleben konnte, sprach er bei dieser Gelegenheit über den eigenen Nachruf: „Wenn der Akteur Genscher einmal die Augen schließt, wird so viel da sein. Da kann unendlich geschrieben werden.“ Auch damit lag er nicht falsch, denn in den letzten Stunden nach seinem Ableben mit 89 Jahren schickten sich Politiker und sämtliche Presseagenturen an, die Würdigungen auch via elektronische Medien der Nachwelt kund zu tun.